12.07.2017

Finance Business Next

Digitalisierung in der Automobilindustrie reißt Barrieren ein und erfüllt Kundenträume

12.07.2017  | Prof. Dr. Frank Stenner

„Banking is necessary, banks are not”. Diese visionäre Aussage von Bill Gates aus dem Jahre 1994 zur zukünftigen Entwicklung des Bankgeschäftes trifft auch aus aktueller Sicht den Nagel auf den Kopf. Denn der Wunsch des Kunden nach einer transparenten, bequemen, schnellen und durchgängigen Online-Abwicklung seiner Bankgeschäfte und weiterer Services rückt die Gestaltung der Geschäftsprozesse in den Mittelpunkt.

 

Kunden wollen digital: vom Antrag bis zum Abschluss

Der Erfolg von Online-Vermittlungsplattformen, wie etwa auxmoney.com für die Kreditausreichung oder savedo.de für die Geldanlage verdeutlicht den Kundenwunsch nach durchgängiger Digitalisierung. Innovative Technologien können außerdem auch bei „einfachen“ Bankaufgaben, wie z. B. Zahlungsverkehr, einen Mehrwert schaffen. So ergänzt etwa die App kontist.com die Zahlungsbewegungen auf dem Bankkonto um die entsprechenden Eintragungen in der Kundenbuchhaltung, bzw. sie errechnet in Echtzeit die voraussichtlich zu leistenden Steuern und Abgaben. Die App umfasst zudem eine papierlose Kontoeröffnung, Push-Benachrichtigungen bei Kontobewegungen sowie ein Frühwarnsystem bei Zahlungsengpässen. Davon profitieren vor allem Freiberufler, Selbständige bzw. kleine und mittelständische Unternehmen, die sich für solch unternehmerische Pflichtaufgaben keinen eigenen Spezialisten leisten können.

Digitalisierung Automobilindustrie Kundenwünsche

Quelle: Accenture Financial Services (2017). Financial Providers: Transforming Distribution Models For the Evolving Consumer [1]


Intelligente, digitale Lösungen für spezifische Zielgruppen brechen die tradierten Geschäftsprozesse in der Bankenbranche auf und schaffen neue Wettbewerber. Das gilt auch für die Automobilbranche bzw. Autofinanzierung. Kundenbefragungen bestätigen immer wieder, dass der Prozess vom Antrag über Bonitätsprüfung, Legitimation und Unterschrift bis zur Auszahlung / Fahrzeugübernahme durchgängig online und möglichst schnell abzuschließen ist. Kunden nutzen zwar gern die Kredit- oder Leasingangebote, um die Kosten ihrer automobilen Mobilität zu planen und zu steuern, wollen aber von dem damit verbunden bürokratischen Aufwand möglichst wenig belastet werden. Da die konzerneigenen Banken der Autohersteller, die sogenannten Captives, sich aus ihrer strategischen Rolle als Vertriebsunterstützer oftmals darauf konzentrieren, den Offline-Kreditvergabeprozess mit dem verbundenen Autohaus der jeweiligen Fahrzeugmarke zu optimieren und zu digitalisieren, eröffnen sich für neue Anbieter Spielräume hinsichtlich innovativer Lösungsansätze. Als Konsequenz wird die Beziehung zwischen Autohaus und Hausbank gestört und die Hoheit über die Kundendaten geht verloren. Im Folgenden werden einige Beispiele diskutiert.

 

Autohaus und die Digitialiesierung

Das Anbieten der besten Fahrzeugfinanzierung für den US-amerikanischen Autohandel – das ist das erklärte Ziel der Internet-Plattform routeone.com, die im Jahr 2002 gegründet wurde. Autohäuser können dort den gesamten Kreditvergabeprozess bis hin zur elektronischen Signatur des Kunden nutzen und unter verschiedenen Finanzierungspartnern wählen. Die Auswahl des Partners und damit auch der Vermittlungsprovision trifft das Autohaus. Damit ist der direkte Draht zur Herstellerbank zerschnitten und das Finanzierungsgeschäft für Wettbewerber geöffnet.

Einen ähnlichen Ansatz in Deutschland verfolgt yareto.de, gegründet im Jahr 2015. Alle digitalen Lösungen sind hier auf jedem Endgerät zu bedienen und mehr als 4.400 Autohändler können unter aktuell neun Finanzierungspartnern das beste Angebot für ihre Kunden auswählen [2]. Darunter natürlich die Bank11 der Wehrhahngruppe, die auch die Vermittlungsplattform Yareto betreibt, aber keine Captives.

 

Kunden im Autohaus

autofi.com aus San Francisco, Kalifornien, gegründet im Jahr 2015, bietet eine Plattform zur komplett papierlosen Online-Abwicklung von Fahrzeugkrediten. Über die Website des Autohauses kann der Kunde den gesamten Kauf- und Finanzierungsprozess digital und mobil abwickeln sowie unter verschiedenen Finanzierungsanbietern wählen. Die notwendigen Vertragsunterschriften werden bei der Fahrzeugabholung im Autohaus geleistet. Mit diesem Ansatz lassen sich Offline- und Online-Prozesse im Autohaus verbinden. 2017 hat sich Ford Credit an dem FinTech-Unternehmen beteiligt.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt autogravity.com aus Irvine, Kalifornien, gegründet im Jahr 2015. Über die angebotene App kann der Kunde online bei angeschlossenen Händlern das gewünschte Fahrzeug auswählen, unter bis zu vier Kredit- und Leasingangeboten wählen und seine Bonität vorab prüfen lassen (Pre-Approval). Das Autohaus erhält eine Vermittlungsprovision. Auch hier werden die Vertragsunterschriften bei Fahrzeugabholung im Autohaus geleistet. 2017 hat sich das Unternehmen Daimler Financial Services an dem Start-up beteiligt.

 

Kunden wümschem sich einen Online-Autokauf

Einen herstellerunabhängigen Online-Angebotsprozess für den Erwerb von Neufahrzeugen in Verbindung mit einer Autofinanzierung bietet die Sixt Leasing seit 2012 über ihre Website sixt-neuwagen.de. Unter ca. 30 Hersteller-Marken  sucht sich der private oder gewerbliche Kunde das gewünschte Fahrzeugmodell aus [3]. Im Gegenzug erhält er die Monatsrate einer Kredit- oder Leasingfinanzierung für das Wunschfahrzeug zu voreingestellten Konditionen mit variablen Vertragslaufzeiten. Ähnlich den Fahrzeugkonfigurations-Websites für Neuwagen der Hersteller kann der Kunde anschließend die gewünschte Ausstattung, Motorisierung etc. wählen, die Monatsrate passt sich automatisch an. Die Fahrzeugübernahme erfolgt wahlweise beim Hersteller, im Autohaus oder direkt am Wohnort des Kunden. Ergänzend werden Serviceleistungen und Kfz-Versicherungspakete angeboten, die bei Annahme durch den Kunden ebenfalls in die Monatsrate der Finanzierung eingeschlossen werden. Die Abfrage des Angebotes bei Sixt Leasing erfolgt online und der Kunde erhält alle erforderlichen Unterlagen per E-Mail, inklusive Verbraucherkreditinformationen, Selbstauskunft und Postident-Coupon.

Digitalisierung Automobilindustrie Überwindung Kaufhemmungen

Quelle: Stenner


Der Unique Selling Point dieses Prozesses liegt in der Integration von Online-Autokauf und -Fahrzeugfinanzierung allein auf Basis der sich ergebenden Monatsrate. Damit werden etwaige psychologische Kaufhemmungen, die gerade beim Konsumenten angesichts der hohen Listenpreise auftreten können, von vornherein überwunden. Der Kunde wird bei seinen Entscheidungen mit Blick auf die überschaubare monatliche Belastung großzügiger und initiiert im Vergleich zum Barkauf höhere Umsätze [4]. Der Verkaufs- und Kreditvergabeprozess dieses Portals ist in der aktuellen Form zwar (noch) nicht durchgängig digital abgebildet, erfüllt aber bereits weitgehend die Anforderungen des Digital Native nach bequemen und schnellen Lösungen. Wenn der Kunde die Option „Fahrzeugübernahme am eigenen Wohnort“ wählt, sind weder die Autobank des betroffenen Herstellers noch die für die Fahrzeugmarke zuständige Handelsorganisation in den Verkaufsprozess eingebunden. Die Online-Retail Sparte von Sixt Leasing verzeichnete Ende 2016 einen Bestand von 27.400 Verträgen (ein Plus in Höhe von 30 Prozent gegenüber 2015). Die Konzeption und der Erfolg dieses B2C-Ansatzes stellen die Zukunftsfähigkeit der tradierten B2B2C-Vertriebskanäle von OEM/Herstellerbanken, ob analog oder digital, in Frage.

Wann starten die Autobanken mit eigenen digitalen Anwendungen, die den Fahrzeugerwerb auf Basis einer vom Kunden gewünschten Monatsrate komplett digital ermöglichen, und zwar transparent, ohne Medienbrüche und mobil?

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Frank Stenner

Literaturempfehlung:
PwC (2017). Financing the car of the future. URL: www.pwc.com/us/en/consumer-finance/publications/financing-the-car-of-the-future.html

Quellen

1 Accenture Financial Services (2017). Financial Providers: Transforming Distribution Modells For the Evolving Consumer. URL: www.accenture.com/us-en/insight-financial-services-distribution-marketing-consumer-study
2 Handelsblatt (2017). Wettlauf der Strategen. URL: www.handelsblatt.com/my/unternehmen/mittelstand/familienunternehmer/werhahn-henkel-haniel-wettlauf-der-strategen-/19880334.html
3 Sixt Leasing SE (2017). Sixt Leasing SE Geschäftsbericht 2016. URL: ir.sixt-leasing.de/sixtleasing/pdf/hv2017/02_HV2017_Geschaeftsbericht_2016_de.pdf
4 Stenner, F. (2014). Ein Turbo für den Absatz. kfz-betrieb 48/2014, S. 26-27

Prof. Dr. Frank Stenner